Zeitlos
07. März 2021Colson Whiteheads „The Underground Railroad“ ist aufwühlend, spannend und eines der besten Bücher, das ich seit langem gelesen habe.
Sollte Schullektüre werden. Ein Plädoyer gegen Sklaverei, Rassismus, Kaltherzigkeit und für Zivilcourage, Hilfe und Toleranz.
Die Underground Railroad war ein aus Gegnern der Sklaverei, darunter auch viele Weiße, bestehendes geheimes Schleusernetzwerk, das Mitte des 19. Jahrhunderts für dunkelhäutige SklavInnen die Flucht aus den Südstaaten der USA in den sicheren Norden organisierte. Auf diese Weise konnten etwa 100.000 versklavte Menschen gerettet werden.
Coras Geschichte
Das Buch erzählt die Geschichte von Cora und ihrer Flucht von der Plantage in Georgia, auf der schon ihre Großmutter und ihre Mutter Mabel gelebt und geschuftet hatten. Letztere ist von der Farm geflüchtet, als Cora neun war. Etwas, das Cora ihr nie verzeiht. Genauso wie der skrupellose Kopfgeldjäger Ridgeway, der Mabel die Schmach, sie nie gefunden und ihren Besitzern zurück gebracht zu haben, nicht vergessen kann. Dafür muss Cora büßen. Als sie mit Caesar, einem anderen Sklaven der Plantage, und durch geheime Helfer der Underground Railroad fliehen kann, wird Ridgeway sie gnadenlos und mit wütender Verbissenheit verfolgen.
Coras Geschichte ist bewegend, schmerzhaft, aber auch beeindruckend. Der Weg einer Frau, die nicht aufgibt, die für ihre Freiheit und ihre Bildung kämpft. Gleichzeitig gibt ihr Schicksal Zeugnis einer vergangenen, dunklen Zeit in der Geschichte, nicht nur jener der USA, in der Menschen aus ihren Dörfern entführt wurden, um in fremden Ländern unter grausamen Bedingungen und ohne jegliche Rechte arbeiten zu müssen.
Cora didn´t know what optimistic meant
An einer Stelle im Buch erkundigt sich Cora nach einer kranken schwarzen Frau. Eine Weiße, die sich um diese gekümmert hatte, sagt: „We´re optimistic.“
„Cora didn´t know what optimistic meant. She asked the other girls that night if they were familiar with the word. None of them had heard it before. She decided that it meant trying.”
Optimismus ist im Leben einer schwarzen Frau im Amerika des 19. Jahrhunderts offensichtlich nicht vorgesehen und nicht denkbar.
Und dennoch gab es damals eine Gruppe von IdealistInnen. Die Underground Railroad wurde von Menschen gegründet und am Leben gehalten, die sich größter Gefahren aussetzten, um anderen Menschen das Leben zu retten. Geheime Tunneln wurden gegraben, alte, halbverfallene Waggons wurden zu Transportmitteln, verlassene Häuser zu „Stationen“, wo Flüchtende versorgt wurden, Dachböden zu Verstecken. Ein unermüdliches Netzwerk an HelferInnen, die Hoffnung gegeben und vielen Menschen die Freiheit geschenkt haben – und dafür oft genug mit dem eigenen Leben bezahlen mussten.
Colson Whitehead spart nicht mit Szenen, die einem den Atem stocken oder das Herz rasen lassen, aber er wird nie pathetisch. Seine Figuren sind – ich entschuldige mich für das Wortspiel – nie ganz schwarz oder ganz weiß, sondern menschlich, mit Fehlern und guten Seiten. Die Ungerechtigkeiten in dieser Zeit und die Brutalität in der Gesellschaft machen fassungslos und bleiben im Gedächtnis, noch lange, nachdem man das Buch fertig gelesen hat. Wahrscheinlich, weil einem bewusst wird, dass es Rassismus, offen oder subtil, und Intoleranz noch immer gibt.
Tatsächlich hat das Buch höchst aktuellen Bezug: Harriet Tubman, die bekannteste afroamerikanische Fluchthelferin der Hilfsorganisation Underground Railroad, sollte seit 2020 auf der neuen 20-US-Dollar-Note zu sehen sein. Tubman wäre überhaupt die erste Frau (!!) auf der Vorderseite eines Dollar-Scheins gewesen. Die Regierung Trump hatte das verhindert. Der neue US-Präsident Joe Biden hat diese Angelegenheit bald nach seinem Amtsantritt aufgegriffen. Das Porträt des wegen Sklavenbesitzes und Verbrechen gegen die indigene Bevölkerung kontrovers diskutierten 7. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Andrew Jackson, soll durch das Porträt von Harriet Tubman ersetzt werden. **
* Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Underground_Railroad ** Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Harriet_Tubman
Schreibe einen Kommentar