Kako… was ?!?
26. April 2019Heute war ich wieder am AKH, auf der „Ambulanz für Riech- und Schmeckstörungen“. Bis vor wenigen Wochen wusste ich nicht mal, dass es diese Ambulanz gibt. Ich nehme an einer Studie teil, weil ich im Sommer 2018 nach einer Verkühlung zuerst meinen Geruchs- und Geschmacksinn ganz verloren hatte und seit Herbst eine Krankheit habe, die „Parosmie“ heißt.
Was das ist? Dr. Wikipedia sagt „eine qualitative Geruchs- bzw. Riechstörung mit Krankheitswert“. Genauer gesagt habe ich Kakosmie „Gerüche werden fälschlich als unangenehm empfunden“ bzw. auch „Hyposmie“: „…der unvollständigen Verlust des Geruchssinns, …von den Patienten ( … ) meistens als Geschmacksstörung wahrgenommen, da große Teile unseres Geschmackserlebens über den Geruchssinn erfolgen.“ Der komplette Verlust des Geruchssinns heißt „Anosmie“.
Was das alles bedeutet? Es bedeutet, dass mir viele Menschen vor allem dazu gratulieren, dass ich in der U-Bahn den Schweiß meiner Mitmenschen nicht riechen muss oder die Hundescheiße auf der Straße oder den Uringestank eines Obdachlosen, der sich seit Monaten nicht gewaschen hat. Oder meinen, dass ich sicher froh bin, wenn ich eh nicht schmecke, wie grauslich so manches Essen ist.
Was es wirklich bedeutet? Ich rieche in meinem Garten an Thymian, Lavendel und Rosmarin und rieche…. nichts. Ich verwende mein Parfüm und rieche… nichts. Mein Mann kocht ein Menü und ich flüchte vor dem schlechten Geruch in der Küche, während die eintreffenden Gäste von herrlichen Düften schwärmen und sich auf das Abendessen freuen. Ich bestelle im Urlaub am Meer gegrillten Fisch mit Kartoffeln und alles schmeckt gleich – nach nichts oder, wenn ich kräftig salze, nach Salz. Trinkt jemand neben mir Kaffee, wird mir vom bitteren Nicht-Kaffee-Geruch übel. Ich esse einige meiner Lieblingsspeisen – zum Beispiel Salat, Gurken oder Paradeiser – nicht mehr, weil sie nun grauenvoll schmecken. Ich kann den Frühling nicht riechen. Ich kann keinen Unterschied mehr zwischen Himbeeren, Erdbeeren und Heidelbeeren erkennen oder zwischen Schweinefleisch und Muscheln in Weißweinsauce. Ich kann den Babyduft meines neugeborenen Neffen nicht riechen. Ich weiß nicht, ob es in meiner Wohnung müffelt. Ich weiß nicht, ob ich selbst stinke.
Es bedeutet auch, dass ich verdorbenes Essen und abgelaufene Milch und austretendes Gas aus einer defekten Therme oder Brände nicht erkennen bzw. bemerken würde.
Es bedeutet außerdem, dass ich mir seit Wochen Gedanken mache, ob ich vielleicht eine ernstere Krankheit habe, denn diese mit dem Riechen verbundenen Krankheiten können auf Nervenschädigungen hinweisen oder sind u.a. Symptome für Parkinson und Alzheimer.
Auf der Spezialambulanz musste ich schon mehrmals viele Fragebögen ausfüllen. Viele Fragen beziehen sich auf meine Lebensqualität: ob ich mich weniger mit Freundinnen treffe, weil ich nichts mehr rieche, oder das Haus weniger verlasse oder Partnerprobleme habe, unpünktlich geworden bin oder die Ausübung meines Berufes beeinträchtigt ist. Eine Frage ist, ob ich lieber wieder riechen als sehen und hören möchte. Viele Menschen mit dieser seltenen Krankheit werden depressiv, manche sind sogar Selbstmord-gefährdet.
Nichts riechen und schmecken können ist für fast alle Menschen, denen ich davon erzähle, undenkbar. Wäre es für mich auch gewesen. Es gibt Momente, da möchte ich weinen. Manchmal bin ich fassungslos, dass das tatsächlich möglich ist, zum Beispiel, wenn ich an einer Flasche mit hochkonzentriertem Aromaöl schnuppere und es „passiert“ absolut nichts.
Meine Krankheit ist postviral, d.h. mit hoher Wahrscheinlichkeit verursacht durch ein Virus. Ich kann nichts dagegen tun, nur warten, sehr geduldig sein und inzwischen durch ein tägliches Riechtraining meinen Geruchssinn trainieren.
Ich freue mich über jeden kleinen Fortschritt. Ich erkenne salzig, süß, sauer und bitter. Ich nehme süße Sachen als „vanillig“ wahr und Zitrone als deutlich säuerlich. Ich schmecke Speisen mit Trüffel(öl). (Und Trüffel schmeckt auch wirklich nach Trüffel!). Es gibt Momente, an denen ich für eine Millisekunde einen Hauch von etwas rieche, so wie es riechen soll (vor kurzem war das zum Beispiel Essig, mein geliebter Thymian und ein frisch gemähter Rasen in einem Park). Ich kann viele andere meiner Lieblingsspeisen noch immer mit Genuss essen – weil ich aus der Erinnerung Geschmäcker abrufen kann.
Ich bin noch dankbarer als sonst, dass ich sehen und hören und fühlen kann. Ich schmecke den salzigen Geruch von Meer nicht mehr, aber ich fühle ihn. Ich rieche die Blumenwiese in meinem Garten nicht mehr, aber ich spüre die wohltuende Wirkung, wenn ich drüber spaziere. Ich mache mir sehr viele Gedanken, wovon oder von wem ich die „Nase voll“ habe und was ich in einem metaphorischen Sinn nicht riechen kann und warum. Ich bin mit mir selbst und meinem Leben viel achtsamer und aufmerksamer geworden.
Und ich bin zuversichtlich, dass alles gut wird. Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich wieder meine Nase in den Blütenkelch einer Blume stecken und deren Duft einsaugen kann oder mit Freunden eine Weinverkostung genießen darf oder mir das Wasser im Mund zusammenläuft beim Aroma eines frischgebackenen Kuchens.
Wenn Euch jemand irgendwann mal erzählt, dass er oder sie eine Frau auf der Straße gesehen hat, die beim Aufklauben eines Hundehaufens mit dem Gacki-Sacki in Jubel ausgebrochen ist … das bin dann wahrscheinlich ich, mit wiedergewonnenem Geruchs- und Geschmackssinn.
26. April 2019
Nachtrag:
Das Foto dieses Beitrages ist am AKH entstanden. Es zeigt Utensilien für die Tests und Studien. Man schnuppert an rund 100 sogenannten Riechstiften und sagt, ob und was man riecht und ob Unterschiede zwischen den Stiften „erriechbar“ sind. Anstrengender sind die Geschmackstests. Zuletzt habe ich 27 Tabletten gelutscht und nur 4 Geschmäcker tatsächlich erkannt. Mit 16 Papierstreifen zum Lutschen wurde getestet, ob ich salzig, süß, sauer und bitter erkenne.
Im Übrigen gibt es neben der Kakosmie auch eine Krankheit namens „Euosmie“ – da werden Gerüche fälschlich als angenehm empfunden. Wie das sein muss, überlasse ich jetzt aber Eurer Phantasie. 😉
Der Begriff „Kakosmie“ wird eigentlich nicht mehr verwendet, hat mir die Studienleiterin erklärt, nur noch „Parosmie“.
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